Wenn der Körper verduftet - von Marc Peschke

Wenn der Körper verduftet
von Marc Peschke

Man kann sich dem ja nicht entziehen. Sie drängeln sich ins Blickfeld.
Strahlen aus Zeitungen, TV, Internet und Magazinen. Beißen sich fest.
Bilder der Nacktheit und Blöße sind überall, sind Teil des Systems.
Sollen scharf machen. Wollen, dass wir hingucken.
Wollen, dass wir nicht weiter zappen. Wollen, dass wir kaufen.
Ganz egal was. Irgendwas. Sie sind banal, man kann sie nicht umgehen,
sie penetrieren ungefragt. Sie sind kalkuliert und inszeniert –
und doch transportieren sie in ihrer Banalität ein Versprechen.

Der Berliner Künstler Peter Freitag befasst sich in seiner Arbeit unter anderem mit pornografischen Bildern. Er ist nicht der erste. Bekannt geworden sind vor allem Thomas Ruffs "Nudes", Digitalbearbeitungen im Internet gefundener Pornobilder, die in ihrer Gerhard Richter-Weichzeichner-Unschärfe ein wenig von dem erotischen ennui fassbar machen, den der Porno-Dauerkonsument verspüren mag.

"Private Stages" nennt Peter Freitag seine Serie, deren Ausgangspunkt die Suche nach pornografische Aufnahmen im Internet ist. Den Künstler interessieren deren Interieurs, er sucht das Private, sucht die besondere Raumatmosphäre, die Intimität und Authentizität suggeriert. Er sucht Bilder, die ein Versprechen in sich tragen, das sie als Bilder nie einlösen können – reine Projektionsfläche bleiben. Er druckt die Internetbilder aus und bedient sich dann eines ungewöhnlichen künstlerischen Mittels: Er stanzt kreisrunde Punkte aus den Bildern – und collagiert diese neu zusammen. Verdeckt und offenbart gleichzeitig.

In der Zerstückelung des ehemaligen Ganzen, im Zusammenführen verschiedener Kontexte, dem Collagieren von neuen Sinnzusammenhängen, gelingt Freitag in Zeiten digital-fotografischer Verwirrungen ein in handwerklicher Hinsicht traditioneller, dennoch ungemein effektiver Kunstgriff. So wie die Pornografie ihr Versprechen nicht hält, Lust erweckt, doch auf Dauer nicht zu stillen vermag, so ist die Technik der Collage von ihm exakt gewählt, jenes pornografische Scheitern ins Bild zu setzen.

Collage heißt hier: Decollage, Dekontextualisierung, aber auch Rekonstruktion. Das Zusammenfügen der kleinen bunten Kreise zu neuen Körper-Formen, das scheint doch eine gute Antwort zu sein, auf den Wust millionenfach reproduzierter Bilder aus Werbung oder Pornografie, die vor allem sagen: Nimm mich. Kauf mich. Doch hier gibt es nichts mehr zu kaufen, nicht mal was zum gucken. Denn mit dem Neu-Collagieren verschwindet das, was vorher im Zentrum stand. Der Körper verzieht sich, verschwindet, verduftet, löst sich auf, wird Ornament, Dekoration.

Dagegen tritt das Drumherum markanter hervor. Da wo vorher ein Körper lag, sich spreizte, Geilheit versprach, da klebt jetzt ein Schwarm dicht nebeneinander liegender Punkte, die in ihrem Umriss einen neuen Körper bilden. Doch nicht Haut zeigen diese runden Fitzel, sondern Bettzeug, Sofa-Bezug oder andere Oberflächen des Interieurs, die der Künstler mit dem Locheisen aus einem zweiten Ausdruck des Bildes stanzt. Wir sehen inszenierte Privatheit, fakes des Privaten, Modelle von Lebensraum, ein Bühnenbild, vor dem die Schauspieler der pornografischen Inszenierung agierten. Doch diese sind unter der Klinge des stanzenden Lowtech-Retuscheurs verschwunden. Was zurück bleibt, ist ein Raum voller Versprechungen – und enttäuschter Erwartungen.

Die so entstandenen Einzelbilder tragen fiktive, doch persönliche Frauennamen wie etwa "Iris", "Esther" oder "Janine". Namen, die Peter Freitag seinen anonymen Modellen mit liebevoller Zuneigung verleiht, weil sie eine Vorstellung von dem tatsächlichen Aussehen jener Internet-Frauen transportieren. Die eigentlich „entleerten“ Bilder offenbaren jetzt ihre Funktion als Container für Wünsche und Sehnsüchte des Betrachters. Und so ist das personalisierte Bild "Iris" ein "Projektionscontainer" vieler Vorstellungen, die man sich von so einer Iris macht.

In diesen Arbeiten steckt viel. Immer noch die Wirklichkeit des Pornografischen, doch auch die Überwindung dessen und stets die Lust am handwerklichen Prozess. Wenn Freitag erzählt, er könne gar nicht aufhören, diese kleinen Collagen anzufertigen, dann glaubt man ihm das aufs Wort: Er ist süchtig nach Bildern, eine Sucht, die an eine andere erinnert, die vor allem in den USA grassiert. Vielleicht populärstes Opfer jener Sucht (nach Pornobildern) ist Anthony Kiedis, der Sänger der Red Hot Chili Peppers. Immerhin ein Mann also, der gänzlich realen Sex mit Heidi Klum, Sofia Coppola, Madonna und geschätzten tausend weiteren Frauen hatte. Doch im vergangenen Frühjahr bekannte Kiedis, süchtig nach Pornos zu sein. Schuld daran ist wohl ein bestimmtes Hirnareal, das durch Pornobilder aktiviert wird, wie ein US-Neurologe festgestellt hat. Deshalb müssen Männer Pornografie mögen.

Doch zurück zu den Arbeiten Freitags: Diese kleinen, fein gerahmten Stanzbilder sind köstlichste Preziosen kultureller Transformation, sie stehen in der langen Tradition einer Kunst, die den schönen Schein hinterfragt und auseinanderreißt, die zerschneidet, durchlöchert, was uns als hohl, langweilig, kommerziell ausgeschlachtet ohnehin kaum mehr Freude verspricht.

Peter Freitag benutzt selbst den Begriff des "Found Footage" für seine Kunst der Aneignung des massenmedialen Fremden, ein Begriff, der aus dem experimentellen Film kommt und Filme bezeichnet, die aus fremdem Filmmaterial bestehen. "Warum sollen wir eine neue Ästhetik erfinden, wenn wir schon eine haben", fragt Boris Groys in diesem Zusammenhang zurecht. Peter Freitag zerstanzt die Pseudo-Wirklichkeit, bricht sie in ihrer Geschlossenheit, ironisiert, transformiert ihr Körperbild, offenbart dabei die Konstruiertheit pornografischer Bilder, illustriert ihr Versagen und trägt doch etwas von ihrem Versprechen in das neue Bild.

Boris Groys hat schon recht – doch Gegenfrage: Warum Boris Groys lesen, wenn wir in diesem herrlichem Sexheft schmökern können? Hier ist doch alles drin: Ironie, Schönheit, Widerspruch, Digitales und Analoges, Kunst, Leben, Sex und das Gegenteil davon. Der Körper verschwindet, erzählt uns die Kunsttheorie in der Nachfolge von Foucault schon seit Dekaden. Mir scheint, hier hat jemand taufrische Bilder geklebt, die diesen Verlust punktgenau touchieren.