Franz Peter I. im zinnoberroten Gewand auf der Höhe seiner Macht: Souverän und majestätisch, wachsam die Betrachtenden fixierend lehnt er in einem scheinbar stattlichen Sessel, so wie er in den europäischen Bildergalerien des Barock zum zwingenden Bestandteil des Herrscherportraits gehört. Peter und Eva dagegen, als unschuldiges Menschenpaar vor dem Sündenfall, finden wir in natürlich gelöster Zweisamkeit: er, der Narziss, in beinahe idealischer Nacktheit, sie modisch gekleidet und selbstbewusst aus dem Bild blickend, beide in ungetrübter Harmonie. Ihnen gegenüber die ewige Pose der Introspektion: das selbstzweiflerische Grübeln des alternden Militärs, vor dessen gesenktem Blick ein Leben Revue passiert, während auf einem weiteren Diptychon in diesem virtuellen Museum klassische Komposition und harmonische Ausgewogenheit herrschen, sich wohlponderierte Figuren und farbliche Eleganz miteinander vereinen: Die vier Brüder.
Ganz gleich, ob Peter Freitag sich mit Velasquez, Cranach oder Dürer in künstlerische Zwiesprache begibt, sein Blick auf die europäische Kunstgeschichte offenbart gleichermaßen spielerisches Kalkül als auch bildkritische Analyse. Gewohnt sich unterschiedlichster Bildquellen zu bedienen, hat er sich in der jüngeren Werkgruppe seiner digitalen Portraits einigen der unangefochtenen Meisterwerke der europäischen Kunst gewidmet und in einer Melange aus camouflierender Karikatur und scheinbar respektloser Persiflage eine subjektive Ahnengalerie der großen Vorbilder erarbeitet. Für einen mit digitalen Bildquellen arbeitenden Künstler der Gegenwart scheint das zunächst ungewöhnlich. Denn das verwirrende Sampling von Motiven und Körpern aus Modemagazinen im dezidierten Rückgriff auf eine vermeintliche Kunstgeschichte ist selten geworden im Zeitalter von Cultural Studies und kritischer Bildwissenschaft.
Was die jüngere Generation der zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler wie Peter Freitag heute weit mehr interessiert sind die Bildarchive des Alltäglichen, das kollektive Gedächtnis einer visuell determinierten Gesellschaft, in der die Omnipräsenz der Bilder von den künstlerisch Produktiven gleichermaßen Entscheidungsfreude wie Draufgängertum abverlangt. Spätestens mit der Postmoderne und dem beginnenden Zeitalter des World-Wide-Web ist alles Kanonische verloren gegangen, haben sich die Generatoren von Bildern miteinander vermengt und so steht ehrfürchtig Bewahrtes plötzlich neben Alltäglichem und rangiert Museales neben Trivialem. Die Wertigkeiten in der bildenden Kunst sind mittlerweile so weit verschoben, dass die klassische Kunstgeschichte von den kritischen Bildwissenschaften abgelöst wurde und somit nahezu alles Visuelle für die Analyse einer verwirrenden Realität herangezogen werden kann und muss.
Nicht selten offenbart die differenzierte Untersuchung visueller Systeme die komplexe Konstruiertheit von Wirklichkeiten und wirft damit nicht zuletzt auch ein neues Licht auf die klassischen Topoi der Kunstgeschichte. Herrscherportrait, Heiligenlegende und der Ursprung des christlichen Weltbildes verlieren so ihre ewig gültige Signifikanz und avancieren - wenn Peter Freitag die Heroen der Kunstgeschichte in die Alltäglichkeit unserer modernen Konsumwelt implantiert - zum bloßen Untersuchungsgegenstand auf jenem visuellen Seziertisch der Gegenwart, auf dem die Wertigkeiten der Geschichte sich mir-nichts-dir-nichts mit den heutigen verquicken.
Aristokratisches wird vulgär, Heiliges profaniert und das Ideale zum Alltäglichen. Nach wie vor geschieht dies vorrangig im Kontext der Wissenschaften und somit im Rahmen einer feinnervigen Abstraktion, an deren Ende das Konkrete häufig verloren zu gehen droht. Alles unmittelbar Identitäre und subjektiv Prägende tritt in den Hintergrund und verschanzt sich hinter dem Mantel einer wissenschaftlich distanzierten Gesprächigkeit.
Doch plötzlich blickt das Alter Ego des Künstlers seltsam introspektiv aus einem metallenen Brustpanzer hervor, hält seine moderne Judith das abgetrennte Haupt dieses Spiegelbildes vor sich hin und rekrutieren die drei Brüder des Künstlers das notwendige Restpersonal zu einer Vorstellung der Dürer'schen Apostel. Das scheinbar naive Sich-an-die-Stelle-setzen wird zu einer multiplen künstlerischen Appropriation, in der nicht nur die charakteristischen Personale, sondern alle Attribute der Repräsentation einer genaueren Betrachtung und beinahe frechen Anverwandlung unterzogen werden. Utopien, Geschichten und Dramen kommen auf den Prüfstand der Gegenwart und werden jener notwendigen Analyse unterzogen, die erneut die kardinale Frage nach der aktuellen Bedeutung klassischer Kunstwerke stellt: Was können wir mit diesen Inkunabeln von gestern als Zeitgenossen noch anfangen? Finden wir noch eine gegenwärtige Relevanz in den klassisch verhandelten Themen? Sind ästhetische Lösung und konfrontatives Drama heute vor dem Hintergrund von offen verhandelten Geschlechterfragen, digitaler Bildgenese und allseitiger Verfügbarkeit von Visuellem noch mit Befriedigung zu rezipieren? Oder hat sich nicht vielmehr alles Spezifische, alles Politische und Signifikante hinter jenen unbegrenzten Verfügbarkeiten ins Vage, Unpolitische und Bedeutungslose verflüchtigt?
Peter Freitags kühne Adaptionen klassischer Bildwerke stellen einen ersten Versuch dar, diese Fragen bildnerisch auszuloten und dem respektvoll Musealisierten - und damit Konservierten - im Zusammenspiel mit der modernen Bilderflut erneut seine unmittelbaren Dimensionen für das Subjekt zurück zu gewinnen. Die großen Themen der Kunstgeschichte, die gemalten Manifestationen ganzer Zeitalter erfahren im Medium seiner Fotografie eine Neuinterpretation, die nicht mehr jene hinfälligen Fragen nach Authentizität und Wirklichkeitskonstruktion stellt, sondern die vielmehr nach den visuellen Spuren der kanonischen Bildgeschichte in der subjektiven Realität und jener überbordenden Bildproduktion der Gegenwart sucht. Zeitlose Fragen stehen zur Disposition, Grundsätzliches steht zu verhandeln und künstlerisch zu bearbeiten. Je unbegrenzter die Bildsysteme, desto begrenzter erscheinen im Papstportrait, im ersten Menschenpaar und in der modernen Judith die Möglichkeiten ihrer Ausdeutung. Daraus, dass diese Bilder konstruiert sind, macht Peter Freitag keinen Hehl. Im Gegenteil: Die Konstruktionen der Digitalität werden allerorten sichtbar und rufen andere Strategien im Umgang mit den Bildern auf den Plan. Sein Zugriff auf die Kunstgeschichte ist deshalb sowohl beängstigend subjektiv als auch beruhigend objektiv.